Voodoo und seine Loas
Um Voodoo richtig zu verstehen, müssen wir zunächst den Glauben und seine Göttinnen und Götter kennen lernen. Der Schöpfungsmythos des Voodoo erzählt, dass Bondye bzw. Bon Dieu, der „liebe Gott“, die Menschheit aus Erde und Wasser erschuf. Deshalb verwandelt sich im voodooistischen Glauben ein Mensch nach seinem Tod wieder in seine Ausgangssituation zurück – er wird abermals Teil der Erde. Die Voodoo-Gemeinde versteht und behandelt den Menschen demgemäß als Element des Kosmos und die belebte wie die unbelebte Materie als beseelt. Auch Reinkarnation und die Vergöttlichung von Verstorbenen ist Teil dieser Religion.
Bondye ist in allen Dingen immanent, er durchdringt die Erde. Er erschuf die Welt aus sich heraus und wurde selbst zu aller Materie, zur unsichtbaren wie zur sichtbaren. Im Menschen manifestiert er sich als Kraft des Lebens selbst, die das Ein- und Ausatmen bewirkt. Bondye steht über allen Menschen und allen Loas. Seine Kraft ist unendlich, sein Wille wird sofort umgesetzt, denn jeder seiner Gedanken erfüllt sich im Augenblick des Denkens. Er ist derjenige, der alles gibt. Ohne sein Wollen kann in der Welt nichts geschehen. Er zeichnet sich aus durch Ehre, Gerechtigkeit und Weisheit und gleichzeitig überschaut er alles.
Doch Bondye selbst wird niemals persönlich angerufen – er tritt nie in Erscheinung, ist viel zu weit weg und nicht zu erreichen. Seine verschiedenen Aspekte drückt er in den Loas aus. Sie sind seine Kinder und mit ihnen kann der Mensch Kontakt aufnehmen. Die Loas lenken den Lauf der Dinge und sind allwissend. Sie haben alle ihre ganz individuellen und eigenen Charakterzüge. Ihre Wohnorte finden sich in Bergen, Bäumen und auf dem Meeresgrund; Legenden erzählen aber auch von einem mystischen Ort, genannt „La Ville aux Champs“ oder „Vilokan“, an dem die Göttinnen und Götter mit den Seelen der Verstorbenen zusammenleben. Wenn sich die Voodooisten an die überirdischen Wesen wenden, erscheinen die Gerufenen ganz direkt und persönlich, indem sie von einem menschlichen Körper Besitz ergreifen und diesen vorübergehend benutzen, um sich auszudrücken. Währenddessen nehmen sie regen Anteil am Geschehen in der Gemeinde und geben Rat und Inspiration, schenken Trost oder erfüllen Wünsche. Wie das in Trance versetzte Medium reagiert, hängt völlig von der Persönlichkeit und der Absicht des jeweiligen Loas ab. Wenn Gottheiten in Menschen eintreten, werden diese erst steif und fallen dann zu Boden. Danach verwandeln sie sich in die jeweilige Göttin oder den jeweiligen Gott und nehmen ihre Gesichtszüge, Ausdrucksweisen und dergleichen an.
Grundsätzlich wird zwischen zwei Arten von Gottheiten unterschieden: Die Rada-Loas und die Petro-Loas. Der Rada-Kult steht für die gute, weiße Magie und der Petro-Kult für die schlechte, schwarze. Während es als sicher gilt, dass der Rada-Kult aus Dahomey stammt, wird dem Petro-Kult als Heimat der Kongo, Guinea oder Haiti zugeordnet. In beiden Kulten werden jedoch mitunter auch die gleichnamigen und tatsächlich gleichen Gottheiten angerufen, doch zeigen sie bei ihrer Manifestation eben entweder den guten oder den bösen Aspekt ihrer Persönlichkeit. Deshalb werden die Offenbarungen einer Gottheit oft getrennt gesehen und als eigenständige Individuen bezeichnet. Generell findet sich eine große Vielfalt unter den Loas. Manche sind laut und direkt, andere wiederum abstrakt und geheimnisvoll. Jedoch alle werden in Haiti mit einem Altar verehrt und besitzen ein eigenes Veve, eine rituelle Zeichnung, die die Anhängerschaft zur Anrufung benötigt. Der Welten Verlag verkauft ausschließlich Rituale aus dem Rada-Kult, der weißen Magie.
Das Oberhaupt der Rada-Loas ist Dambala Ouedo Freda Tocan Dahomey, kurz Damballah. Damballah ist die erste und höchste Manifestation Bondyes – er wird deshalb „Vater des Universums“ genannt. Damballah vollbringt nur gute Taten und bringt den Gläubigen Glück. Da er der Schlangengott ist, wird in manchen Hounforts eine lebende Schlange neben dem Altar gehalten, um Damballah zu repräsentieren. „Reitet“ dieser Gott ein Medium, wie es im Voodoo auch heißt, so bewegt dieses sich schlangenartig auf der Erde und spricht zischend. Damballah ergreift oft und gerne Besitz von seinen Anhängerinnen und Anhängern, daher ist es einfach, von ihm besessen zu werden. Er spendet Trost, Hoffnung und den Glauben an die Unvergänglichkeit und globale Existenz der Schöpfung. Auf diese Weise bricht er enge, begrenzte Sichtweisen auf und macht den Blick frei für universelle Zusammenhänge. Daher steht er für Weisheit und Wissen. Seine Gemahlin ist Ayida Wèdo, die Herrscherin der Himmel. Ihr Symbol ist der Regenbogen.
Ein weiterer, wichtiger Loa ist Legba, ein uralter Gott, der von Dahomey nach Haiti kam. Er ist der Hüter der Tore. Deshalb ist er auch der einzige, der die Verbindung zwischen dem Reich der Toten, der Sphäre der Gottheiten und der menschlichen Welt herstellen kann. Legba repräsentiert die Sonne und das Licht – regenerative Kräfte, die das Aufblühen allen Lebens bewirken. Sein Symbol ist das Feuer. Außerdem kennt er die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Bei einem Ritual wird Legba als erster begrüßt, da er die Tore öffnen muss, damit die Menschen den Kontakt zu den anderen Loas aufnehmen können. Der Mittelpfeiler der Säulengänge, an dem die Gerufenen herabsteigen, wird neben Poteau-mitan auch Poteau-Legba genannt. Zeichnungen zeigen Legba als alten Mann mit Krücke, der eine Pfeife raucht und einen Sack über seine Schultern trägt. Der Stab repräsentiert seine Schöpfungskraft und gleichzeitig den Zugang zu Vilokan, der Welt der Gottheiten und Seelen der Verstorbenen. Im Sack befindet sich die Bestimmung der Welt. Ergreift Legba von einem Medium Besitz, werden dessen Gliedmaßen verbogen und vorübergehend verkrüppelt. In fast allen Hounforts findet sich eine Krücke, das haitianische Symbol für Legba. Nie fehlen darf ein Baum für Legba am Eingang eines Tempels.
Ezilie Freda bzw. Erzulie ist die Göttin der Schönheit, Liebe und Verführung. Sie ist die Verkörperung aller Frauen und so schön, dass jeder Mann von ihr träumt. Ebenso wird sie als Mutter der Loas und der Menschheit verstanden und steht deshalb unter dem Einfluss des Sonnengottes Legba. Unter der Wirkung von Damballah sichert Erzulie den unaufhörlichen Fluss der menschlichen Generationen. Die Voodooisten stellen sie sich als äußerst weibliche Mulattin vor. Erzulie ist polygam und hat eine Vielzahl von Liebhabern. Drei Ringe, die sie an ihrer Hand trägt, symbolisieren die wichtigsten: Damballah, der Schlangen-Loa, Agwe, der König des Meeres, und Ogou, der Gott des Krieges. In einem Ritual erwartet sie immer das Beste vom Besten, z.B. Schmuck, elegante Kleider oder kostbare Parfums. Ein Medium, das von Erzulie besessen ist, führt einen verlockenden und betörenden Tanz aus, wiegt die Hüften, schmiegt sich an die Männer heran und küsst sie. Allen Männern verdreht sie den Kopf. Den Frauen schenkt sie nur wenig Aufmerksamkeit. Ihre Gefolgsleute belohnt sie mit ihrer Liebe.
Natürlich gibt es noch weitaus mehr Voodoo-Loas, dies ist nur eine kleine Auswahl. Da es aber sehr viele regionale Unterschiede gibt, kennt niemand die Namen aller – ein Beweis für die außergewöhnliche Lebendigkeit der Voodoo-Religion.